(German) Logische Fehler in Artikel "Schlecht, schlechter, Geschlecht" von Harald Martenstein im ZEITmagazin vom 6. Juni 2013
Normalerweise schreibt Harald Martenstein die Kolumne, die das ZEITmagazin einleitet -- jede Woche aufs Neue. Diese Woche hat er es außerdem eine Streitschrift mit dem Titel "Schlecht, schlechter, Geschlecht" verfasst, die er auch im Vorschau-Video zur aktuellen Ausgabe der ZEIT vorstellen durfte. Zum Artikel als Ganzes will ich keine Stellung nehmen. Ich möchte im Folgenden allein zwei logische Fehler aufzuzeigen, die mir aufgefallen sind.
Der Evolutionsbiologe Simon Baron-Cohen, ein Vetter des Filmemachers Sascha Baron-Cohen, hat die Reaktionen von Neugeborenen erforscht, da kann die Gesellschaft noch nichts angerichtet haben: Mädchen reagieren stärker auf Gesichter, Jungen auf mechanische Geräte. Richard Lippa hat 200.000 Menschen in 53 Ländern nach ihren Traumberufen gefragt, Männer nannten häufiger "Ingenieur", Frauen häufiger soziale Berufe. Die Ergebnisse waren in so unterschiedlichen Ländern wie Norwegen, den USA und Saudi-Arabien erstaunlich ähnlich. Wenn es wirklich einen starken kulturellen Einfluss auf die Berufswahl gäbe, sagt Lippa, dann müssten die Ergebnisse je nach kulturellem Kontext schwanken.
Die Ergebnisse könnten schwanken, aber sie müssten nicht: Das lässt sich nicht folgern. Warum? Nehmen wir an, in zwei Ländern wirken zum Teil gleiche, zum Teil unterschiedliche kulturelle Einflüsse und es sind vorrangig gemeinsame kulturelle Einflüsse für die Berufswahl entscheidend. Dann ist nicht verwunderlich, dass sich die Ergebnisse ähneln, es sind aber durchaus kulturelle Einflüsse am Werk.
In Wirklichkeit ist die Biologie längst weiter. Sie kann zeigen, dass Männer und Frauen in vielen Bereichen gleich sind, in anderen verschieden. Sonst wäre die Evolution ja sinnlos gewesen – wozu zwei Mal das gleiche Modell entwickeln?
Evolution ist Mutation und Selektion in Wiederholung. Dabei können sich Merkmale durchsetzen, die keinen Sinn (im Hinblick auf höhere Überlebenschancen) haben. Hier wird argumentiert, dass etwas nicht sein kann, weil es im Widerspruch zum Sinn der Evolution des Menschen stehe. Evolution folgt aber keinem Sinn, weshalb so nicht gefolgert werden kann.