Skip to main content

(German) Zollamt oder warum ich da nicht wieder hin will

Gezwungenermaßen war ich heute zum ersten Mal in einem Zollamt. Was bringt mich dorthin? Ich hatte ein Chinesisches Schachspiel aus China bei Ebay bestellt(, das ich leider qualitativ doch nur bedingt empfehlen kann [..]). Der Versender hat außen auf der Packung zwar einen Aufkleber mit Zolldetails angebracht, aber das Anbringen einer Rechnung in Plastikhülle vergessen. Das muss bestraft werden, sofort. Es verstößt laut Zollamt gegen "die Voraussetzungen der Artikel 9 und 10 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft". Eigenlich komisch: China ist so oder so vermutlich nicht Teil der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft: da müsste man schon genau sein bitteschön. Jedenfalls muss ich das Brettspiel beim Zollamt in Schöneberg abholen, na gut, ich war eh in der Nähe verabredet. Ich hatte mir das so vorgestellt: Ein Schalter, Schreiben vorzeigen, Paket in Empfang nehmen, Gebäude verlassen -- eine Sache von zehn Minuten. Nicht hätte ich gedacht, da deutlich zu optimistisch zu sein.

Mich erwartet eine Wartehalle mit Welche- Nummer-ist-dran-an-Schalter-XY-Anzeige. Ich erhalte Nummer 135; bedient wird gerade eine merkwürdig lückenhafte Mischung aus Zahlen in der Umgebung von 102. Das kann dauern, da geh ich doch erstmal auf Toilette. Ausgeschildert ist die nicht, ein Mitleidender weiß von seinem letzten Besuch Bescheid, wo sie zu finden ist. Wieder zurück stelle ich fest: Die Wartenummern werden nicht monoton wachsend aufgerufen: Dass gerade 137 und dann 139 aufgerunfen werden, heißt nicht, dass meine 135 schon dran gewesen wäre und sagt nichts über die Wartezeit für den Menschen mit Nummer 138. Fantastisch. Auch der Toiletten- Experte mit Nummer 124 wird noch einiges an Wartezeit verdauen müssen. Ich kann also nicht mal eben weggehen, weil ich nie erfahren werde, ob meine Nummer nicht schon dran war, wenn ich wiederkomme. Und mein Schreiben hat der Angestellte einbehalten: Das müsste ich wiederverlangen, wenn ich denn gehen wollte und trotzdem mein Schachspiel noch kennenlernen will.

Um Kunden scheint es hier nicht zu gehen: kundenunfreundlicher geht kaum. Interessant ist auch, dass die Wartenummer von einem Herren an einem Schalter ausgegeben werden, der sich selbst immer wieder zu einem Nummer-spuckenden Automaten in der Wand hinter ihm umdrehen muss. Wie erniedrigend. Aus der Wand reißen und auf den Tisch legen bietet sich an, wenn man an langfristigen Lösung interessiert ist. Gut, dass ich hier nicht arbeite. Vielleicht soll ihm die Laune vermiest werden, damit er uns die Laune vermiesen muss. Auch interessant: Das zwei Schießscharten breite Loch in der Wand, durch das Papier gereicht wird, ohne mehr als eine Hand zu zeigen. Ich bekomme mit, wie eine Frau nochmal nachhause muss, um ihre Rechnung zu holen. Eine Wartenummer wird ihr ohne Rechnung verweigert, das dürfe er nicht. Die Frau äußert ihren Unmut, es bleibt dabei. Mit schlechtem Deutsch rumschlagen will er sich bei einem anderen Fall aber nicht, da wird zu meiner Überraschung trotz offener Fragen eine Wartenummer vergeben; es scheint dem Beamten also um die Minimierung des eigenen Leidens zu gehen: eine erstklassige Sicherheitslücke für Schauspielstudenten.

Der Mann, der wusste, wo die Toilette ist, hat früher Schach gespielt, meistens gewonnen, kennt Chinesisches Schach bisher nicht aber zeigt sich interessiert, arbeitet als Möbel-Designer und hat sich privat einen Stuhl für 400 Euro im Ausland bestellt, der hier wohl 2.000 Euro wert wäre. Dieser Stuhl hat ihm seinen Besuch beim Zollamt eingebrockt. Ich nehme an, er verdient ganz gut.

Alles in allem: Spannende zwei Stunden, Besuch in einem kleinen realen Irrenhaus. Brauche ich so schnell nicht wieder. Ich hoffe sehr, dass die beiden anderen Schachspiele aus Südkorea und den USA mir das nicht wieder bescheren. Wenigstens weiß ich dann, was mich erwartet.